Reaktionen

Ich habe zur Zeit Urlaub. Warum? Weil ich meine Wiedereingliederung ab Mitte November abgeschlossen habe und jetzt wieder arbeiten werde.

Ich arbeite gerne, meine Arbeit ist mir wichtig und auch die vielen Begegnungen mit anderen sind mir wichtig. Trotzdem habe ich natürlich jetzt auch andere Prioritäten. Mein Plan ist es, die ersten drei Monate noch Vollzeit zu arbeiten, in der Zeit das letzte Mal Fortbildungen zu geben und dann im Frühling auf ca. 25 Stunden zu reduzieren. Ganz ohne möchte ich nicht, aber ich bin mal gespannt, ob ich das überhaupt so schaffe. Vor 6 Monaten hätte ich nicht vermutet, dass mir ernsthaft etwas fehlt, aber heute weiß ich, wie schnell mich meine derzeitige Kombi aus leicht reduzierten Immunsystem, Strahlungsödem im Gehirn und Nebenwirkungen der Medikamente aus der Bahn werfen kann. Jetzt mal den Krebs beiseite gelassen 😉

Meine Definition von „es geht mir sehr gut“ hat sich definitiv verändert 🙂 Gestern Abend war ich mit Freunden aus und solange ich mich nicht viel bewegt habe, hatte ich kein starkes pulsierendes Ohrgeräusch, hervorgerufen von Bluthochdruck, hervorgerufen von erhöhtem Innendruck des Gehirns. Nach einer 20 minütigen Episode starker Sehstörungen habe ich keine Migränekopfschmerzen bekommen. Niemand hat etwas mitbekommen und auch ich selbst habe den Abend als“ es geht mir gut“ empfunden. Bis zu einem gewissen Maß kann man mit seiner Einstellung wohl vieles lenken. Um Clueso zu zitieren: Ich kann den Wind nicht ändern nur die Segel drehen. 

Das Ding in meinem Kopf macht mir allerdings unterschwellig doch leichte Sorgen, aber zwischen Weihnachten und Neujahr kommt man an keinen Arzt, Kortison will ich auf keinen Fall nehmen und ich werde hoffentlich rechtzeitig merken, wenn es doch gefährlich wird. Krankenhaus ist um die Ecke, wird schon. Einfach immer mit der Ruhe…

Aber eigentlich wollte ich von meiner Wiedereingliederung berichten und von den unterschiedlichen Reaktionen, die ich erfahren habe:

Ich arbeite mit wirklich vielen unterschiedlichen Menschen zusammen, ich bin eine Art Netzwerker im sozialen Bereich. Viele meiner Kollegen wussten von meiner Erkrankung und haben daher vermutet, dass ich viel länger ausfallen würde oder dass ich zumindest abgemagert, blass und mit Glatze zurückkehren würde. Das war nicht der Fall, ich sah nicht viel anders aus, als vor meiner Diagnose, da meine Medikamente nicht so sehr den Körper belasten wie eine Chemotherapie. Daher war die erste Reaktion von ziemlich allen großes Erstaunen. Manche sagen dann gar nichts, fragen geht es gut? Ja, sag ich dann und dann arbeiten wir. Aber unterschwellig würden sie gerne fragen, aber sie trauen sich nicht. Aber ich sage dann auch nichts. Einige wenige fragen ganz offen: Ich hätte vermutet, dass sie mit Ihrer Erkrankung viel länger ausfallen… und dann erkläre ich genauso offen, wie es gerade um mich steht. Bei diesen Menschen habe ich meistens das Glück, dass sie ganz unaufgeregt reagieren. Sie sagen dann, ja, das kenne ich, in meiner Familie gibt es auch Krebs… Und ich finde das wirklich sehr angenehm, denn es gibt mir das Gefühl, das meine Krankheit etwas ganz Normales ist. Nichts worüber man in Panik ausbrechen muss, nichts woran man verzweifeln  muss. Es ist natürlich zum Verzweifeln, dass ich an Krebs sterben werde, aber es ist eben auch ganz normal.

Dann gibt es den Pfarrer, der zu mir sagt: „Wir haben für sie gebetet“. Was soll man darauf antworten???

Dann gibt es viele Leute, die fragen: Wie geht es Ihnen denn? Immer genauso in diesem Wortlaut. Das kleine „denn“ am Ende des Satzes, das fragt explizit nach dem Krebs. Für mich ist das aber keine Aufforderung meine Krankenakte herauszuholen 🙂 Manchmal habe ich auch einfach keine Lust darauf. Dann sage ich: Danke, es geht mir sehr gut, ich vertrage meine Medikamente sehr gut. Und das wars dann, ein bisschen unbefriedigend für die Menschen, weil sie dann immer noch rätseln, was mit mir los ist. Aber das wird sich wahrscheinlich noch von alleine herum sprechen… Mal sehen wie es da weitergeht.

Ich fand es leichter als erwartet wieder reinzukommen, ich dachte, jetzt wo mein altes Leben vorbei ist, wird es komisch, wie vorher arbeiten zu gehen, aber das wars nicht.

Und in meinem Privatleben ist es anders als ich hier und da gelesen habe, dass sich die Spreu vom Weizen trennt etc.

Alle, alle Menschen die ich kenne, ob gut oder nicht so gut, langjährig oder kurz, alle, alle Menschen sind ganz nah an mich herangerückt. Rufen an, schreiben mir, wollen sich treffen und das seit der Diagnose durchgehend. Ich habe das gar nicht erwartet und ich fühle mich dadurch sehr gut aufgehoben und bin dafür sehr dankbar.

7 Gedanken zu “Reaktionen

  1. Judith

    Schön dass Du wieder schreibst. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.
    Ich finde es sehr interessant und , dass Du Dich entschieden hast weiter zu arbeiten, obwohl Du um Deine reduzierte Lebenserwartung weißt. Die meisten die ich kenne,
    die in der selben Situation sind, haben sich eine Liste gemacht,was sie noch alles erleben
    möchten bevor ihr Leben zu Ende geht und sind froh, dass sie nicht mehr arbeiten müssen, sondern immer Freizeit haben, um in jeder Sekunde ihres Lebens die ihnen noch bleibt immer das tun zu können wozu sie Lust haben.

    Man muss seine Arbeit schon sehr lieben um sie bis ans Lebensende ausüben zu wollen, bzw. um lieber die noch verbleibende Lebenszeit in der Arbeit verbringen zu wollen anstatt z.B. auf Reisen an die schönsten Orte dieser Welt oder mit dem Ausüben von Hobbies etc. .

    Ich glaube, dass wenn man in der SItuation ist dass man deutlich weniger Lebenszeit hat als die Gesunden, dann kann man das eigentlich nur dadurch etwas „kompensieren“, in dem man die Lebenszeit die einem noch bleibt dann umso intensiver nutzt und intensiver lebt und wenn das was man noch erleben möchte dann ist, den Beruf so lange wie es geht auszuüben, dann ist dass einfach das was man möchte .

    Das mit der Halbtagstätigkeit finde ich eine gute Lösung, denn dann hast Du noch genug Zeit um vielleicht noch (Kindheits-) Träume zu realisieren wie z.B. Reisen oder Deinen Hobbies
    nachzugehen etc. Was am Arbeiten auf jedenfall hilfreich ist ist die Ablenkung. Ich finde
    nichts ist schlimmer als ohne Ablenkung zu sein und dauernd an den Krebs denken zu müssen und wenn die Arbeit dann noch Spaß macht, ist doch ideal.

    Ich bewundere sehr wie gefasst Du mit Deiner akut lebensbedrohlichen Situation
    wegen der Hirnmestastasen umgehst. Eine Cousine von mir hatte wegen Hirnmestastasen einen Epileptischen Anfall, weil das Gehirn wegen der Metastasen angeschwollen war. Sie musste dann Kortison nehmen, damit sich die Gehrinschwellung zurückbildet, weil es sonst akut lebensbedrohlich gewesen wäre.

    Ich würde die Sehstörung nicht auf die leichte Schulter nehmen und vorsichtshalber an irgendeine Uniklinik gehen, wo Du jetzt noch einen Arzt bekommst. Es kann wirklich sehr gefärhlich sein kein Kortison zu nehmen wenn eine Gehirnschwellung da ist und die geht oft mit Sehstörungen einher. Ohne Kortison kommt es dann früher oder später zu einem epileptischen Anfall, der lebensbedrohlich ist, vor allem wenn er beim Autofahren passiert, oder wenn man alleine in der Wohnung ist und niemand da ist der rechtzeigit Hilfe holen kann. Wenigstens In der Notfallambulanz müsste doch ein Arzt zu bekommen sein.

    Ich wünsche Dir jedenfalls, dass Du gut ins neue Jahr kommst und Silvester möglichst beschwerdefrei feiern kannst.

    Liebe Grüße

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    1. Hallo Judith,
      ich nehme inzwischen auch wieder Cortison, die Symptome sind schnell stärker geworden, ich habe es noch eine Weile ausgesessen aber irgendwann schien es mir dann auch unangenehmer als die Nebenwirkungen des Cortisons. Ich befinde mich in einer lebensbedrohlichen Situation, auf das, was passiert habe ich nur begrenzt Einfluss. Ich denke der beste Weg ist, mit allem so gelassen wie möglich umzugehen, Stress, Angst und Sorgen hat noch niemanden gesünder gemacht.
      Das mit der Liste und den Lebensträumen, das ist, glaube ich, nicht meins. Ich habe in den letzten Jahren ein sehr glückliches Leben gehabt. Ich bin mit meinem Mann glücklich, mit meinem Beruf, mit meinen Freunden,, mit meiner Wohnung… was will ich mehr? Kinder kann ich jetzt nicht mehr bekommen, Karriere ist nicht mehr, größere Wohnung brauch ich auch nicht. Es steht nichts auf meiner Liste, was ich unbedingt noch erleben möchte, außer das Leben, das ich hier und jetzt in meinem Alltag mit all den Menschen um mich herum erlebe. Ich denke nicht, dass es einen Weg gibt 40 Jahre, die man nicht mehr hat, in ein, zwei oder fünf Jahre zu stecken.
      Ich hoffe, du bist gut gerutscht und es geht dir gut
      Viele Grüße

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  2. Ich kann Deine Schreibe unglaublich gut leiden!! Und die Art, wie Du mit dem Krebs umgehst, finde ich großartig. Als es nach meiner Bestrahlung um die Reha ging, da meinte der Strahlenarzt, um Gottes Willen, fahren sie da bloß nicht hin, da sind ja lauter Krebskranke… 😎 und ich denke, das ist wie Du es in dem Beitrag zur Krebs-Gemeinde geschrieben hast, manche Sachen ziehen einen einfach runter.

    Ich wünsche Dir für 2017 alles Gute und rutsch gut rein!! Wir sind in Edinburgh!
    SaMaTe

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  3. Mir gefällt Dein Schreibstil auch sehr gut. Und ich kenne die Krebs-Gemeinde auch. Meine Ärztin in der Reha hat mir damals die Gesprächsgruppen mit anderen Patienten verweigert, weil sie auch der Meinung war das würde mich zu sehr runterziehen. Ich war dann später in einer Selbsthilfegruppe hier am Ort und habe sie auch wieder verlassen. Mein Gefühl ist, dass es ums Leben gehen sollte und nicht um den Krebs. Und ich lege meinen Focus nun sehr stark aufs Leben. Niemand weiss wie lange – egal wie gesund.
    Liebe Grüße und einen guten Rutsch
    Coreli

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  4. Judith

    @ Coreli. So ging es mir auch als ich noch keine Metastasen hatte und noch
    eine Chance auf Heilung. Aber mit der Metastasendiagnose wo man sich unweigerlich
    mit dem Thema Tod und Sterben auseinandersetzen muss hat sich das geändert.
    Da tut es gut sich auch mal mit Betroffenen, die auch Palliativpatienten sind auszutauschen.
    Sich als Palliativpatient gar nicht mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen das geht gar nicht und würde eigentlich auch keinen Sinn machen.
    Liebe Grüße

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  5. Judith

    Hallo „fünf Phasen“,

    schön von dir zu lesen. Meine Wünsche auf meiner Liste waren eigentlich
    nur Reisen, weil ich in den Jahren davor nie dazu gekommen bin. Ich bin auch
    glücklich mit meinem Mann und unserer Wohnung wo wir zusammen schon ein
    halbes Leben lang wohnen. Es stimmt schon, dass man 40 Jahre die man nicht mehr hat nicht in 2 oder 3 Jahre stecken kann, aber ich habe für mich schon das Gefühl, so intensiv wie ich in den letzten Jahren gelebt habe und in jeder Minute immer nur das gemacht habe was ich gerade wollte, was früher nie möglich war, dass ich die schönen Erlebnisse so verdichtet habe, dass es gefühlt viel mehr Jahre waren, als blos ein paar.

    Du hast Recht, Sorgen und Ängste auch in einer lebensbedrohlichen Situation
    würden nichts ändern, außer die Zeit die noch bleibt zu beeinträchtigen. Ich bin auch die meiste Zeit gelassen und lebensfroh, vor allem weil ich extrem dankbar dafür bin wie gut es mir trotzdem geht und ich schon Jahre Stillstand bei der Erkrankung habe bei kaum Nebenwirkungen der Medikamente. Allerdings setze ich mich schon immer wieder mal mit dem Thema Tod auseinander und rede auch mit meinem Mann darüber, also über den Tod im Allgemeinen, der uns ja alle betrifft. Ich habe keine Angst vor dem Tod, nur vor dem Sterben, weil ich zwei nahestehende Menschen ziemlich qualvoll in einem Hospitz sterben habe sehen und damals beschlossen habe, dass ich so niemals gehen werde. Diesen Plan werde ich auch konsequent umsetzen. Wie geht eigentlich Dein Mann damit um, dass er weiß, dass Du den Krebs nicht überleben wirst ? Mein Mann verdrängt das meistens und ich lasse ihm die meiste Zeit dann in diesen Gedanken und erwähnne nur von Zeit zu Zeit mal, dass ich keine normale Lebenswerwartung habe. Dann schaut er immer mal kurz ganz überrascht und traurig und wenn ich so Sätze sage wie :“wer weiß ob ich da noch lebe“ ,
    dann reagiert er oft verärgert und sagt :“ hör doch auf immer so zu reden. “
    Mich würde sehr interessieren, wie Dein Mann damit umgeht.

    Liebe Grüße

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  6. Mein Mann und ich, wir sind ein Team. Ich weiß, wenn ich damit umgehen kann, dann ist es auch leichter für ihn. Und er setzt sich mit dem Gedanken auseinander und befasst sich auch damit, dass wir nicht gemeinsam alt werden, dass er alleine sein wird. Und wir beide sind noch dabei in diese Situation hineinzu wachsen. Er ist derjenige, dem es Sicherheit gibt, möglichst viel zu wissen. Er liest sich Informationen an, studiert die Arztbriefe, sortiert alles, geht auch schon mal zu Vorträgen. Ich kann das nicht, das weiß er. Ich will nicht genau wissen, wie lange mir die Statistik Zeit gibt, ich bin ganz vorsichtig, was Informationen anbelangt. Und er weiß ganz genau, wieviel er mir weitergeben kann und was nicht. Deshalb ergänzen wir uns, glaube ich, ganz gut. Ich stabilisiere emotional, er kümmert sich um das Wissen.
    Was ich jetzt schon sofort unterschreiben würde: Es ist unfassbar hilfreich, viel Zeit zu haben sich zu verabschieden. Im Sommer sah es ja kurzfristig so aus, dass mir wirklich nur noch Wochen, vielleicht Monate bleiben. Fast unmöglich, da nicht in Panik zu geraten, ich selbst, aber mehr noch alle um mich herum. Monate und vielleicht Jahre zu haben, diesen Gedanken, dass die Zeit sehr, sehr begrenzt ist, zu verarbeiten, das ist wirklich unfassbar hilfreich. Und ich denke, dass wird auch tatsächlich immer noch leichter sein, wenn es soweit ist.

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