I´m so happy…

Das bin ich. Das bin ich jetzt sogar schon eine ganze Weile, viele Monate schon fühle ich mich richtig glücklich. Jeden Tag. Warum?

Ich kann es mir selbst nur zusammenreimen, kann nur die Umstände aufzählen, die vielleicht für dieses tiefe Gefühl der inneren Leichtigkeit, der großen Selbstbewusstheit und der totalen Freude führen.

Aber vorab: die gesundheitlichen Entwicklungen sind es eher nicht.

Das wichtigste, was ich immer wieder im letzten Jahr bei meinem Dr. Paradise gelernt habe, ist ganz intensiv in Kontakt zu seinen eigenen Gefühlen zu gehen, mich wirklich zu spüren, was ist da? Was sind da für Gefühle in dieser Situation? Wie sehen sie aus? Was macht das mit dir? Und Stück für Stück bricht auch meine Schale auf, die ich mir gezimmert hatte und ich muss nicht mehr die Starke sein, muss nicht immer über allem stehen und darf nicht die Fassung verlieren. Ich darf jetzt schwach und verletzlich und gefühlvoll sein, ich darf mich spüren und es ist mir auch nicht mehr unangenehm, Schwäche zu zeigen, Fehler zuzugeben, Angst und Unsicherheit zu zeigen. Das ist plötzlich überhaupt keine große Sache mehr… Und irgendwie hat sich genau daraus eine ganz große Selbstbewusstheit und damit auch Selbstsicherheit ergeben.

Es gab immer eine Diskrepanz zwischen meinen wirklich tollen Leistungen, Fähigkeiten und Wissen und meinem Selbstbewusstsein, für das all dies nie gut genug war. Jetzt ist es das.

Etwas anderes Wunderbares ist noch in mein Leben gekommen: 14 andere Frauen, die in meinem Alter sind und alle, wie ich, Lungenkrebs mit Mutation haben, ähnliche Therapien bekommen, sich in ähnlichen Lebenssituationen befinden. Ich hatte Glück, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein. Ja! Ende letzten Jahres habe ich mich, nur aus Neugier bei Instagram angemeldet. Manche Menschen mit Teenagerkindern, die daraufhin magersüchtig werden, mögen die sozialen Medien verfluchen, für Menschen wie mich, sind sie der größte Rettungsanker. Ich hatte gar keine Ahnung, wieviele Menschen mit Krebs dort sind und mit ihren wundervollen Impulsen meine Welt bereichern. Und dort habe ich alle diese Frauen kennengelernt und wir haben eine gemeinsame Whatsapp Mutmachgruppe, in der jeden Tag richtig viel los ist. Das ist so ein schönes Gefühl, so eine ganze Gruppe von Mitstreitern im Rücken zu haben…. Mit einigen habe ich mich auch schon getroffen, die in der Nähe wohnen, ein größeres „Deutschland Treffen“ planen wir gerade zeitnah. Alles, was ich in dieser Gruppe, aber auch in meiner Krebsblase auf Instagram erlebe, ist sehr wertschätzend und liebevoll. Und ich selbst bin dort auch ziemlich aktiv und schreibe viel, weil mir dieses Format auch großen Spaß macht.

Es gab Ende Januar noch einen unerfreulichen Kontakt mit meinen Eltern, indem sie deutlich gemacht haben, dass sie gemeinsam mit allen anderen Verwandten, mit denen sie da gemeinsam wohnen, also einfach mal alles ganz anders sehen als ich und das solle ich bitte akzeptieren. Aber sie möchte doch weiter Kontakt und dass wir miteinander sprechen. Das hat mir wieder große Bauchschmerzen gemacht, offenbar war das große Gespräch im November für die Katz. Ich wollte nicht mehr, dass diese Menschen machen, dass ich mich schlecht fühle. Ich habe nach intensiver Überlegung meinen Vater angerufen ( sonst spricht ja sowieso niemand dort mit mir) und ihm gesagt, dass ich absolut überhaupt keinen Kontakt mehr möchte.

Das war eine sehr gute Entscheidung!

Ich habe immer wieder in mich hinein gespürt: Möchtest du das wirklich? Die Antwort ist: Ja.

Es geht mir damit noch mal um Längen besser, ich hätte diese Entscheidung schon vor mindestens zwei oder drei Jahren, besser noch mit 18 treffen sollen, als ich mir diese Frage schon mal gestellt habe. Wie wäre mein Leben verlaufen, ohne diese Menschen darin. Ich kann mir im tiefsten Innern noch so sehr eine Familie wünschen, die mich liebevoll unterstützt, vielleicht wiederhole ich mich, ich habe sie nicht. Und hier geht es nicht darum, seine Gefühle offen zu zeigen. Eine Mutter, die mit ihrem sterbenden Kind nicht reden will, weil sie das unangenehm und schwer findet und sie traurig macht, die sieht niemanden außer sich selbst. Ein Vater, der das als gut und richtig verteidigt. Geschwister… Es bringt überhaupt nichts, sich dahingehend Illusionen zu machen. Ich hatte am Anfang meiner Erkrankung wirklich gehofft eine nähere Beziehung zu ihnen zu bekommen, ich habe das ausgesprochen.. Wo nichts ist… Es sind ihre, nicht meine Entscheidungen, die uns zu diesem Punkt gebracht haben, an dem wir stehen.

Ich brauchte am Anfang Unterstützung und Halt, so sehr. Jetzt brauche ich sie nicht mehr, mein Psychoonkologe hat mir so gut beigebracht mit mir und meiner Situation umzugehen.

Meine Familie war überfordert – aber ich ja auch! Sie konnten sich wegdrehen und wegschauen- ich konnte es nicht. Dadurch bin ich unendlich gewachsen und sie sind geschrumpft.

Ganz viel Schlechtes ist jetzt nicht mehr in meinem Leben, dafür ganz viel Gutes dazu gekommen. I´m so happy… 🙂

Und auch trotz Krebs. Die Freude darüber, dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen zu sein, währte nur kurz. Letzter Stand vor zwei Wochen : Tumor tastet sich wieder ganz langsam vor. Das bedeutet, dass sich jetzt schon wieder eine Resistenz entwickelt. Nach grad einmal 7 Monaten. Das ist ausgesprochen schlecht.

Aber auch hier habe ich das Gefühl, durch die intensive Auseinandersetzung im letzten Jahr, durch mein „Sterben lernen“ bin ich gewachsen. Ich kann mit den schlechten Nachrichten umgehen. Ich bin sehr sicher, dass ich 2022 leben werde. Und das wird ein unglaublich schönes und glückliches Jahr.

Auftauchen

Das Jahr 2021 war ein einziges Autauchen. Anfang des Jahres saß ich noch auf dem Grunde des Ozeans im Dunkeln und dann begann ich an die Oberfläche zu streben. Monat für Monat wurde es heller und leichter und Ende des Jahres durchstieß ich die Oberfläche und war endlich an der Luft und noch am Leben.

Zwei Gewichte hielten mich auf den Grund des Meeres gefangen: meine Familie und meine Erkrankung. Beides ist immer noch da, aber ich kann jetzt anders mit ihnen umgehen. Ist das nicht merkwürdig? Und auf beinahe jede Situation übertragbar? Da siehst du dich einer Situation ausgesetzt, die so schwer auf dir lastet, die dir den Atem raubt, die macht, dass du Tag und Nacht weinst und dann, eines Tages, hat sich in deinem Kopf etwas verändert und du kannst gelassen auf die gleiche Situation blicken. Realität ist das was der Kopf daraus macht. Und dann dein Gefühl.

Die liebe Familie

Anfang November hatte ich das Gefühl, ich kann für mich eine Auszeit gebrauchen, ja vielleicht auch schon mal vorfühlen, wie es ist, so ein kompletter Kontaktabbruch auch zu meinen Eltern. Wir haben uns ja so dreimal gesehen in diesem Jahr und das war aufwühlend für mich.

Das letzte Mal, wir saßen im Restaurant, sie fragen ihre „Pflichtfrage“ wie es mir geht. Ich erzähle von Medikamentenumstellungen und von Zusatzmutationen, die meine Lebenserwartung signifikant kürzen. Ich sehe die beiden an, sie sitzen links von mir an der Längsseite des Tisches und starren geradeaus die Wand an, sagen kein Wort. Ich höre auf zu erzählen, sie starren weiter, kein Wort. Ich wechsle das Thema, sie atmen erleichtert auf und sehen mich wieder an.

Ich rufe meine Mutter an und das erste, so üblich und typisch: Was, du rufst hier an? Das ist ja mal was.. Ihr Tonfall wechselt sofort zu Panik, als ich ihr eröffne, dass ich angerufen habe, um zu sagen, dass wir uns dieses Jahr nicht mehr sehen werden. Sie hat sofort Angst, dass das Ganze auf einen Kontaktabbruch zusteuert. Sie hat zu Recht Angst. Wir machen trotzdem aus, dass wir uns erst im Januar sprechen.

Am nächsten Morgen, es ist Samstag, stehen meine Eltern um 9 Uhr vor meiner Tür, wollen mich sprechen. Ich muss erst mal den besten Ehemann von allen wecken und ihm sagen, dass vor dem Frühstück eine Familienkonferenz stattfindet.

Meine Eltern beginnen damit, dass sie finden, dass ich Ihnen Unrecht tue, dass ich das alles ganz falsch sehe. Was sollten sie denn auch sagen, wenn ich vom Krebs rede? Da könne man doch gar nichts zu sagen. – Sein Mitgefühl ausdrücken, sag ich, Fragen stellen: wie geht es dir damit, wie geht ihr damit um, mich dabei ansehen und mit mir darüber reden. Ach so, sagt mein Vater, ach ja.

Aber ich wäre immer so distanziert – ich wollte gerne eine engere Beziehung zu euch, ich habe euch das auch gesagt vor 5 Jahren, aber seitdem mein Bruder zu euch gekommen ist und gesagt hat, ihr sollt weder Zeit, noch Gedanken an mich verschwenden und ihr dass offenbar in Ordnung fandet, habe ich mich zurückgezogen. -Ach…

Die Essenz des Gesprächs: es verlief meist ruhig und klar und meine Eltern mussten zugeben, dass ich doch nicht so viel falsch sehe und ihnen auch kein Unrecht zufüge. Aus meinem Vater brach es heraus: „Aber du weißt doch, wie hilflos wir sind!“ Ja, aber manchmal ist das keine Entschuldigung, für manche Dinge, die wichtig sind, muss man eben über seinen Schatten springen, dann muss man auch etwas tun. Und wenn man nichts tut, muss man mit den Konsequenzen leben. Und das hier, das hier jetzt sind die Konsequenzen. „Ja“, sagt mein Vater.

Ich frage meine Mutter, warum sie fast ein ganzes Jahr nicht mit mir reden wollte. Sie sagt, dass war nur aus Rücksicht auf mich. Unter Tränen ruft sie: „Ich denke jeden Morgen und jeden Abend an dich, dass musst du mir glauben. Ich ruf dich nur nicht an, weil ich dann bestimmt weinen muss und ich will dich damit nicht belasten.“

Ich denke, da hat sie wohl eher ganz viel Rücksicht auf sich selbst genommen. Damit sie ihre Gefühle nicht spüren und nicht zeigen muss. Sie kann weglaufen, ich kann es nicht.

Sie haben weggesehen all die Jahre, vermieden, wo es ging, sich mit meiner Krankheit zu konfrontieren. Sie hätten gemeinsam mit mir daran wachsen können, sie haben es nicht getan. Und sie haben mich auch alleine gelassen. Und das habe ich Ihnen auch gesagt.

Meine Mutter bettelt unter Tränen, ich möge den Kontakt nicht abbrechen, ich dürfe das nicht tun.

Ja, das tut mir leid, ich will meinen Eltern nicht weh tun, ich möchte ihnen keinen Schmerz zufügen. Aber ich möchte auch keine Schmerzen mehr zugefügt bekommen. Es tut mir sehr leid, aber was mir wirklich das Herz gebrochen hat, ist zu erleben, wie gleichgültig ich all die Jahre meiner Familie war.

Wir einigen uns, dass wir mal im Januar weiter reden…

Ich spreche darüber mit meinem Psychoonkologen, wir denken ein bisschen hin und her, er: „Sie werden wahrscheinlich ein schlechtes Gewissen haben, weil Sie ihren Eltern den Kontakt verwehren, können sie gut damit leben? Oder wiegt das schwerer, als die paar schlechten Tage, die Sie opfern für ihre Eltern.“ Es ist sehr schwer, wenn deine Eltern dich unter Tränen bitten, du mögest den Kontakt halten. Wer will das?

Und dann kamen die Hirnmetastasen und das Sterben lernen und ich hatte das überwältigende Gefühl: Nein! Ich kann meine Eltern nicht hier durch tragen, ich schaffe das nicht. Ich brauche gerade meine ganze Kraft, um diese Situation auszuhalten, um sie zu gestalten, um einen guten Abschied für mich und meine Lieben, die mir helfen, zu schaffen. Und meine Eltern, spüre ich, die muss ich tragen. Ich kann es nicht. Ich sterbe und da bin ich und mein Wille wichtig und was meine Eltern fühlen, das ist jetzt mal unwichtig.

Und wieder verändert sich etwas im Kopf. Eine neue Perspektive kommt hinzu.

Hätte ich einen Wunsch frei, würde ich mir wünschen, meine Eltern vergessen mich einfach. Sie müssten keinen Schmerz und keine Hilflosigkeit erfahren. Sie würden mich einfach loslassen und ohne, dass ich ihren Schmerz erführe, könnte ich gehen. Sie würden es sich wahrscheinlich auch wünschen. Ein Jahr mit der eigenen schwerkranken Tochter nicht reden? Sie anschweigen, obwohl sie darum bittet? Wie groß muss die Not sein, flüchten zu wollen aus dieser Situation. Ich werde noch einmal, ihretwillen, versuchen herauszufinden, was sie wirklich wollen. Aber auch deutlich machen, das Wort „austherapiert“ ist ihre Grenze. Ab da gehen wir keine gemeinsamen Wege mehr. Und ich habe kein schlechtes Gewissen. Es ist in Ordnung so.

Und dann bekomme ich noch einen Brief nach Weihnachten. Er ist von meiner Nichte (17) und sie schreibt darin, dass sie unglaublich traurig ist, dass ich nicht mehr Teil ihres Lebens bin, dass ich mich selbst belüge und Menschen Schmerzen zufüge, dass sie eigentlich hofft, mich noch einmal zu sehen und sich mit diesem Brief verabschiedet und einen Schlussstrich zieht, weil sie schon so lange umsonst auf mich gewartet hat.

Ich antworte ihr, dass es mir sehr leid tut, dass sie so unter der Situation leidet,dass ich auch an sie gedacht habe, erkläre sehr sachlich die Zusammenhänge und versuche ihr die Sache mit der Zeit näher zu bringen: dass ich deutlich früher einen Schlussstrich ziehen musste als sie, dass bei mir Tage Monate und Monate Jahre sind. Dass ich mich entscheiden musste, ob ich, buchstäblich, den Rest meines Lebens mit Trauer und Wut verbringen möchte. Und dass es gut ist, dass sie sich noch von mir verabschiedet hat.

Das hat mich sehr bewegt, ihren Brief zu lesen und mir deutlich gemacht, welch großen Schaden mein Bruder und meine Schwägerin der Familie zugefügt haben und ich denke, diese Wunde wird in dieser Familie niemals verheilen. Obwohl, man kann nie wissen, denn sie erzählen sich, erwartbar, die Geschichte gegenseitig offenbar etwas anders.

Mir selbst brachte es wieder eine Reflexion und Bearbeitung und wieder eine neue Perspektive.

Und dann am ersten Januar bin ich aufgetaucht, voller Glück, sprudelnd, alle Gewichte hinter mir gelassen, alle Bindungen zu bösen Menschen aus meinem Leben weg.