Am Sonntag schlage ich die Zeitung auf und sehe diese Überschrift. Um es kurz zu machen: ich nicht.
Die lange Version: die medizinische Ethik-Kommission hat sich Gedanken über die schwierige Situation für Ärzte gemacht, die in Italien leider schon Alltag ist, zu wenig Beatmungsgeräte für zu viele Patienten und die Entscheidung, wer wird beatmet, wer nicht. Diese Entscheidung mussten sehr viele Ärzte alleine und zu Beginn oft auch halb aus dem Bauch heraus treffen, was die meisten schwer emotional mitgenommen haben dürfte. Aus diesem Grund hat sich die Kommission berechtigt überlegt, den Ärzten hier klare Kriterien an die Hand zu geben, nach denen sie entscheiden können, wer behandelt wird und wer nicht, wenn auch hier die Anzahl der Patienten die Kapazitäten der Klinik übersteigen.
Anders als in Frankreich und inzwischen auch in Italien ist hier nicht das Alter das einzige Kriterium (ab 75 bist du weg vom Fenster), sondern eine Abwägung der Chancen des jeweiligen Patienten. Seine Vorerkrankung, seine Konstitution, auch sein Alter, aber nicht nur. Fortgeschrittene Krebserkrankung ist ein Ausschlusskriterium für die Beatmung bei einem schwerwiegenden Verlauf.
Ich habe wirklich nicht an diesem Sonntagmorgen damit gerechnet, die Zeitung aufzuschlagen und zu lesen, dass mir nicht geholfen wird, wenn ich an Covid erkranke. Ich musste unwillkürlich an diesen Sci-Fi-Film denken, Deep Impact. Der, in dem ein riesiger Meteor auf die Erde zurast und alles Leben auslöschen wird und eine Verlosung stattfindet, wer in die staatlichen Bunker darf. Da gibt es diese Szene, die ältere Mutter eines Protagonisten sitzt vor dem Fernseher und hört, dass alle ab 65 von der Verlosung ausgeschlossen werden, keine Chance auf Rettung für sie. Ich fand diesen Film immer sehr bedrückend. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages in der gleichen Situation sein werde.
Fakt ist, meine Lunge ist gerade in ziemlich desolaten Zustand, seit mehr als einem Jahr eine chronische Lungenentzündung durch die Medikamente und durch eine erneute Bestrahlung im Februar die erhöhte Gefahr einer zusätzlichen strahlungsbedingten Lungenentzündung und die Aussicht auf eine mögliche Lungenblutung, weil sich bestrahlte Gebiete überlappen. Ich glaube also echt nicht an eine leichte Verlaufsform, falls ich mich anstecke. Und die Ansteckungsgefahr ist groß.
In einem anderen Artikel wurde mir empfohlen gar nicht erst in ein Krankenhaus zu gehen, erstens belaste ich unnötig Notarztwagen, Sanitäter, Pfleger und Ärzte, wo mir doch sowieso nicht wirklich geholfen wird und zweitens, würde ich doch auch so nicht sterben wollen, isoliert und nur unkenntliche Maskengesichter um mich herum. Wenn denn überhaupt jemand da ist. Lieber soll ich bei Ansteckung den ambulanten Palliativdienst kontaktieren, damit ich zu Hause sterben kann.
Habe ich Verständnis dafür? Ja, kann ich verstehen. Kann ich wirklich. Ist das unglaublich erschreckend für mich? Ja, total. Ich habe gerade nicht so wirklich viel Hoffnung in drei Monaten noch zu leben. Draußen laufen die Menschen herum, sonnen sich, gehen spazieren, spielen im Park, sprechen von Entschleunigung und davon dass das Virus doch auf für etwas gut ist. Ich komme mir vor wie in der Twilight Zone.
Dann kommen immer mehr Rufe, man muss auch an die Wirtschaft denken, Trump, der Vollpfosten, sagt, die Kur darf nicht schlimmer sein als die Krankheit. Jetzt muss es aber mal langsam gut sein, lasst uns doch einfach die Risikopatienten isolieren und alle anderen können dann ihr Ding machen. Wegen 10% sollen 90% ruiniert werden…
Ach echt? In Deutschland leben ca. 4,5 Mio Menschen, die älter sind als 80 Jahre ( ich nehme mal diese Altersgruppe, um weniger Überlappungen mit den nachfolgenden zu haben), 1,7 Mio. Krebskranke, 8 Mio. Asthmakranke, 6,7 Mio. Menschen mit Diabetes und keine Ahnung wie viele Menschen eine Herz-Kreislauferkrankung haben, die mit Abstand häufigste Todesursache jedes Jahr. Leberkranke, Nierenkranke… mehr als 22 Millionen Menschen, rund ein Viertel unserer Bevölkerung, die Risikopatienten sind. Die übrigens mit Nicht-Risikopatienten zusammenleben. Ich bin nicht das statistische Bundesamt, aber es scheint mir doch sehr unrealistisch, dass wir diese Menschen alle gut isolieren können. Mein Mann müsste die nächsten 6 Monate ausziehen, den Hund mitnehmen und irgendjemand stellt mir jede Woche eine Tüte Lebensmittel vor die Tür und einmal im Monat lege ich Kampfmontur an und fahre ins Krankenhaus? Ich glaub nicht.
Mein Großvater wurde 1910 geboren, ich weiß, dass er aufgrund von Krieg und Rezession zweimal alles verloren hatte, was er besaß. Sein Geld war nichts mehr wert, die Wohnung war zerbombt, das Eigentum verstreut und zerstört. Das hat er einmal beiläufig erwähnt. Die Menschen, die er verloren hatte oder deren Leid er sah, lagen ihm schwerer auf der Seele.
Jeder lebt in seiner Welt und spürt vor allem das, was ihn unmittelbar angeht. Aber wenn ihr morgen spazieren geht, dann denkt doch mal kurz daran, dass gerade eben ein Mensch an euch vorbei gelaufen ist, der weiß, dass er wahrscheinlich bald an dieser Krankheit sterben wird, die euch so gar keine Angst macht. Außer das es an euer Geld geht. Ich beneide euch.
Mich macht Dein Beitrag sehr traurig. Alles klingt so pessimistisch und auch frustriert. Ich möchte versuchen, ein klein wenig Optimismus zu verbreiten.
Die Entscheidung, ob ein Patient beatmet wird, oder nicht, muss erst gefällt werden, wenn es nicht ausreichend Beatmungsgeräte -plätze gibt.
Noch sind wir in Deutschland, von dieser Situation weit entfernt.
Wenn die Zahlen sich so weiter entwickeln wie in den letzten Tagen, kommen wir auch nicht dort hin. Wenn sich Alle an die geltenden Regeln halten, werden wir auch nicht dort hin kommen, dass Ärzte gezwungen sind, derartige Entscheidungen zu treffen. Um genau so etwas zu vermeiden, wurden die ganzen Regeln ja überhaupt aufgestellt. Noch haben wir in Deutschland jede Menge freie Beatmungsplätze auf den Intensivstationen und es wird täglich für weitere Plätze gesorgt. Unser Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt. Nicht dass es perfekt wäre, aber gerade in der aktuellen Situation, zeigt sich der (positive) Unterschied zu anderen Systemen.
Ich selbst, teile Deine Befürchtungen in dieser Richtung, überhaupt nicht.
Auch ich gehöre zu dem Kreis der Menschen die unter die von Dir genannten Kriterien fallen würden. Ich rechne aber nicht damit, dass diese Art Entscheidung, in Deutschland überhaupt gefällt werden muss. Andererseits, ist es mir persönlich am Ende dann eigentlich egal, ob mich der Krebs direkt, oder irgendein Virus das Leben kostet. Mein vorzeitiges Ende steht ja nun schon länger fest. Ich halte mich an alle aktuellen Regeln und lebe ansonsten so weiter, wie bisher auch. An meiner Einstellung, Stimmung und grundsätzlichen Situation, hat Corona nichts geändert. Klar gibt es viele Dinge, die mir Corona sozusagen verhagelt hat, aber dann muss ich eben umdenken und versuche, so wenig wie möglich, an die negativen Aspekte zu denken. Ich versuche nach wie vor, den Fokus auf positive Dinge zu lenken.
Ich wünsche Dir ein klein wenig mehr Optimismus, auch wenn es zur Zeit sicher etwas schwieriger als sonst sein mag. Ich hoffe, Du kannst die Dir zur Verfügung stehende Zeit, für Dich einigermaßen angenehm und zufrieden verbringen.
LIeben Gruß
Sue
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Liebe Sue, danke dass du dir Zeit genommen hast um mir eine etwaspositivere Sichtweise zu schenken. So ganz kannst du mich nicht von meinen Befürchtungen heilen, ich denke schon, dass wir in ähnliche Situationen kommen werden, wie unsere Nachbarländer, zumindest lese ich das auch von vielen Ärzten so. Auch macht es für mich einen Unterschied, ob ich alleine und isoliert im Krankenhaus sterbe oder begleitet zuhause. Aber man weiß natürlich auch ohne Covid nicht, wie es kommt.
Etwas hat mir dein Beitrag aber doch geholfen, wieder ein bisschen loslassen und mich auf das hier und jetzt konzentrieren. Lieben Gruß Julia
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