Ich bin ja schon seit einigen Jahren auf der Suche nach anderen Menschen in meiner Situation, mit denen ich mich austauschen kann. Dazu habe ich unter anderem auch in der SHG (Selbsthilfegruppenzeitung) unserer Stadt eine Anzeige aufgegeben. “ Kaffeeklatsch für Sterbende“ war nicht sehr erfolgreich, in diesem Jahr hatte ich den Text in etwas gefälligeres und weniger witziges geändert: „Den Tagen mehr Leben“ Ein Zitat von Cicely Saunders, der Begründerin der Hospizbewegung.
Schon letztes Jahr hatte ich auf dem Krebstag der Uniklinik den Leiter der Palliativstation nach einer Gruppe für Palliativpatienten gefragt . Der meinte, so etwas gibt es nicht und braucht es auch nicht, Palliativpatienten möchten nicht mit anderen reden. Und das, wo er in seinem vorangegangen Vortrag noch erklärt hatte, dass auf seine Station ja auch Menschen sind, die nur neu mit ihrer Medikation gut eingestellt werden müssen und sich erholen. Also nicht nur zum Sterben Hallo sagen. Vielleicht habe ich mich aber auch nur (in seinen Augen) falsch ausgedrückt, denn ich meinte Menschen, die an einer lebensverkürzenden Krankheit leiden. Zum Beispiel metastasierten Krebs. Das sind nämlich Palliativpatienten. Das das ein und dasselbe ist, ist, habe ich das Gefühl, in vielen Köpfen nicht so drin.
Hätte ich metastasierten Krebs gesagt, vielleicht hätte der Arzt mich verstanden. Es gibt ja inzwischen viele Menschen, die mit metastasierten Krebs noch lange ganz gut leben können. Ich habe aber zu ihm gesagt, dass ich metastasierten Lungenkrebs habe und da war es auch schon vorbei. Das war nämlich sein Beispiel im Vortrag für die Palliativpatienten, die am schnellsten sterben. Da lohnt sich eine Selbsthilfegruppe gar nicht, so schnell kannste nämlich gar nicht gucken, so schnell liegen die unter der Erde. Alle? Nein, nicht alle! Ein von unbeugsamen Galliern besetztes Dorf 😉
Ich wünsche mir also seit vier Jahren eine Gruppe von Menschen, mit denen ich mich ab und zu treffe und die, wie ich, an einer lebensbegrenzenden Krankheit leiden. Und das muss ja gar nicht Krebs sein, denn es geht nicht um Krebs. Es geht darum, ein Leben zu meistern, während die Schlinge um den Hals liegt und die Zehen schon über dem Abgrund schweben.
Dieses Jahr ist trotz Corona so einiges in Bewegung gekommen.
Schon Ende letzten Jahres kam ich über den ambulanten Hospizdienst, bei dem ich in Beratung bin, mit einer anderen Frau zusammen und wir haben uns alle zwei Wochen auf einen Kaffee beim Hospizdienst getroffen. Ganz schnell waren wir schon zu viert. Aber dann kam Corona und natürlich liegt seitdem das Ganze wieder brach. 😦
Vor ein paar Wochen dann hat sich eine Frau (so alt wie ich) bei mir gemeldet. Sie hat meine Anzeige in der SGH gelesen und wir haben uns dann draußen auf einen Spaziergang getroffen. Sie erzählte mir ihre Geschichte und ich fand, sie hat sich selbst sehr kreativ und ein bisschen irre selbst geholfen 🙂
Sie hat keinen Krebs, sondern eine Art doppelten Leberinfarkt (nagelt mich nicht fest, das ist nicht mein Gebiet) und eine prognostizierte Lebenserwartung von 10 Jahren. Das ist jetzt 12 Jahre her. Sie erzählte, dass sie sich damals, als sie die Diagnose bekam, ganz allgemein in einer schwierigen Lebenssituation befand. Sie hatte das Gefühl, dass nichts stimmte, ihre Partnerschaft nicht, ihr Beruf nicht, ihr Körper nicht, sie selbst nicht. Und da wollte sie raus und die Jahre, die sie noch hatte, ein Leben leben, das stimmt. Und dann hat sie sich überlegt, wie denn? Wie finde ich heraus und werde der Mensch, der ich sein möchte? Und dann hat sie von den anonymen Alkoholikern gelesen. Die haben ein klar definiertes Programm zur Persönlichkeitsentwicklung, eine Gruppe zum Austausch und einen persönlichen Coach (Sponsor), der immer ansprechbar ist. Ideal also. Blöd nur, dass sie keine Alkoholikerin ist.
Aber es gibt auch eine Gruppe für Angehörige von Alkoholikern und dann hat sie ein bisschen nachgeforscht und, siehe da, der Vater ihrer Stiefmutter (den sie nie kennengelernt hatte) hatte ein Alkoholproblem. Sie ist dann dahin und hat das Programm voll durchgezogen, war ein paar Jahre dort und hat in den vergangen 10 Jahren ihren Freund verlassen, ihrer Familie verziehen, ihr Abitur nachgeholt, studiert und geheiratet. Und sie sagt, sie ist heute glücklich. Ich glaub, sie hat nur Kontakt mit mir aufgenommen, weil ich ihr leid tat, nicht weil sie selbst noch auf der Suche nach Hilfe war.
Ist das eine schräge Nummer oder was?? Wo krieg ich denn jetzt einen Alkoholiker her…
Tatsächlich habe ich dann in der SHG eine Gruppe gefunden, die emotionale Probleme mit einem leicht abgewandelten Programm der AA bearbeitet. Das scheint im Grundsatz also tatsächlich vielseitig verwendbar, aber es ist doch leider im Ganzen ziemlich spirituell und ich fürchte, daher nicht ganz mein Schuh…
Vor ein paar Wochen dann bin ich auf die neue YES App aufmerksam geworden, eine Selbsthilfegruppenonlineapp für Krebspatienten und Angehörige. Schaut da mal rein, da gibt es neben Chats und Onlinegruppen auch immer wieder Online-Live Events zu verschiedenen Themen und bald auch eine digitale Convention. Ich wurde dort auch relativ schnell angeschrieben. Trotzdem ist es nicht dasselbe, der Austausch ist einfach anders und echte Kontakte in Fleisch und Blut wären mir doch lieber.
Vielleicht bin ich aber einfach nur schon alt. 😉
Zu dieser App fand auch eine digitale Convention statt, ziemlich groß und beeindruckend , mit vielen Themen, die man über zwei Tage auf zwei Bühnen (Paneels) verfolgen konnte. Wer Interesse hat, die Aufzeichnung, oder auch nur die Teilnehmer und das Programm findet sich hier: https://www.yescon.org
Einige Beiträge habe ich verfolgt und eine winzige Kleinigkeit hat größere Spuren bei mir hinterlassen. Es war ein Beitrag mit drei Krebsbloggern, die auch ein Buch veröffentlicht haben. Eine Geheilte, eine Angehörige und ein Palliativer. Die sollten jeweils, in dieser Reihenfolge, vorgestellt, ein Stück aus ihrem Buch vorlesen und dann kurz interviewt werden. So geschah es dann auch bei Kandidatin 1 und bei Kandidatin 2 und Kandidat 3 war Tim Lobinger, ehemaliger Spitzensportler, ziemlicher Kämpfer mit metastasierter Leukämie. Und als der dann dran war, sagte er, er unterhalte sich sehr gerne mit der Moderatorin, aber er spürt, er wäre jetzt grade nicht in der Lage etwas aus seinem Buch vorzulesen, die Situation hier und die anderen Geschichten würden ihm zu nah gehen. Mit anderen Worten, er hätte jetzt wahrscheinlich geweint beim Lesen.
Ich habe selbst früher so gut wie nie geweint, ich war nie nah am Wasser gebaut, jetzt wohne ich dauerhaft am Ufer. Mich berühren auch tagtäglich wahnsinnig viele Dinge sehr, positiv wie negativ und mir kommen ganz oft die Tränen. Irgendwie ist man mit dem Krebs viel verletzlicher und auch schneller berührt von allem. Und das da plötzlich so ein Mann sitzt, auch noch so ein echter Kämpfer und ganz souverän auf der Bühne erklärt, er kann jetzt nicht lesen, sonst muss er weinen, das hat in dem Moment eine Brücke hergestellt. Ich hab gedacht, guck mal, dem gehts genau wie dir, ich bin nicht allein damit. Das war ein echter Überraschungsmoment für mich.
Deswegen sollten sich Menschen treffen und miteinander reden.